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Geschichten vom Ankommen von Roksana Orlova

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Datum:
1. Dez. 2025
Von:
Renate Szymczyk

Vor drei Jahren kam ich mit zwei kleinen Kindern nach Wuppertal.
Ohne Plan, ohne Sprache - aber mit Hoffnung.
Mein Mann blieb in der Ukraine, um unser Land im Krieg zu verteidigen.
Haben Sie sich jemals gefragt, wie es ist, alles zu verlieren -
und dann neue Nachbarn zu finden, die mehr als nur Nachbarn sind?
Im Mai 2022, in meinem ersten Monat hier, brachte mich mein Bruder in den Teesalon.
Dort traf ich zum ersten Mal Barbara Drewes.
Ich verstand kaum Deutsch, hörte einfach zu -
fasziniert von der Sprache und von den Menschen,
die sie mit so viel Vertrauen und Ruhe sprachen.
Ich konnte mir damals nicht vorstellen, wie lange es dauern würde, Deutsch zu lernen -
in einem völlig neuen Land, entwurzelt vom Krieg.
Aber durch die Wärme dieser Runde, die Harmonie und Offenheit, wusste ich:
Es ist möglich.
Ich war auf der Suche nach Orientierung -
und einem Weg, mit zwei kleinen Kindern in einem neuen Land neu anzufangen.
Die Unterstützung kam von vielen Seiten.
Als ich nach den ersten Integrationskursen wieder begann zu atmen -
und zu sprechen:
"Ich heiße Roksana und ich bin Ukrainerin" -
kehrte ich in den Teesalon zurück.
Vielleicht nicht nur wegen der Sprache,
sondern auch wegen der Atmosphäre.
Unter der liebevollen Leitung von Renate Szymczyk
fand ich dort nicht nur Sprachpraxis,
sondern auch Freundinnen, die mir im Herzen nahe sind.
Zusammen mit meiner ukrainischen Freiwilligengruppe -
Olena, Lesia, Iryna, Oleksandra und Nataliia -
gestalteten wir eine Präsentation über die Kiewer Rus
im Rahmen einer Ausstellung mit ukrainischen Künstler*innen.
Ich selbst leitete einen Workshop über die ukrainische Schutzpuppe "Motanka".
Ich war berührt, mit welchem Respekt und Ernst die Erwachsenen ihre Puppen gestalteten.
Viele trugen sie am Ende stolz als Glücksbringer nach Hause.
Bei einem Workshop in Hattingen entdeckte ich ganz nebenbei:
Ich kann Kinderschminken - und sogar ein bisschen Karaoke singen!
Mit meinen zwei Kindern im Alter von 7 und 12 bin ich bei vielen Aktionen dabei.
Wenn ich kann, helfe ich gerne auch bei der Durchführung des Teesalons.
Ich glaube daran, dass jede Krise auch eine Chance ist.
Es hat Zeit gebraucht, Kraft, Geduld -
aber heute stehe ich hier.
Ich spreche Deutsch, ich engagiere mich, ich wachse.
Was ich in den letzten drei Jahren gelernt habe:
Manchmal dauert es länger, als man möchte -
aber mit Ausdauer, Kraft und Vertrauen kommt man Stück für Stück voran.
Ich bin stolz darauf, was ich geschafft habe - und noch schaffen werde.
Was mich trägt?
Mein Glaube daran, dass Beharrlichkeit stärker ist als Zweifel.
Ganz besonders bewegt hat mich die große Installation im Raum Asien,
direkt hier im dritten Stock.
Auf einem großen Kunstwerk schweben hunderte kleine Papierschiffchen an feinen roten Fäden -
gefertigt aus Lottoscheinen.
Für mich symbolisiert dieses Bild,
dass jeder Mensch, der sein Zuhause verlässt und in ein neues Land kommt,
eine Art Los zieht - einen Versuch, neu anzufangen.
Man kann verlieren - oder auch gewinnen.
Im Laufe der Zeit wurde mir klar:
Ganz egal, woher wir kommen -
wir alle sehnen uns nach Sicherheit, Stabilität und Entwicklung.
ANNa gibt mir das Gefühl: Integration gelingt, wenn man sich aufeinander einlässt.
Ich bin zu ANNa gekommen auf der Suche nach Nachbarn.
Gefunden habe ich Freunde.
Und ich danke allen, die diesen Ort gelebter Menschlichkeit möglich machen.

Roksana Orlova